»Haben diese Leute den Wunsch, unsterblich zu werden«?
Gurdjieff: »Wünsche haben viele, aber (hämisch) wenige erreichen etwas. Jeder hat ein Ego und eine Essenz. Viele möchten das Ego in ihre Essenz umwandeln und so unsterblich werden.«
»Was ist mit all dieser körperlichen Arbeit beabsichtigt, wird das noch lange dauern?«
(Die Engländer hatten mich sehr gebeten, ihn das zu fragen).
Gurdjieff: »Sie sollen damit die äußere Welt beherrschen lernen. Es ist das nur ein Übergang.«
»Versuchen Sie, ihnen okkulte Kräfte zu verleihen?«
Gurdjieff: »Ja, ich versuche, ihnen alle Kräfte zu vermitteln. Zwischen okkulten und anderen Kräften ist kein Unterschied. Die Okkultisten von heute haben alle unrecht.«
»Sie sind kein Mitglied einer Schule?«
Gurdjieff: »Nein, wir bilden eine Gruppe von Freunden. Vor etwa dreißig Jahren haben wir, ein Dutzend etwa, einige Jahre in Zentralasien zugebracht und haben die Lehre folgendermaßen wiederentdeckt: in Resten alter Überlieferungen, im Studium alter Gebräuche, in Volksliedern und auch in bestimmten Büchern. Diese Lehre hat es immer gegeben, aber ihre Überlieferung ist oft unterbrochen worden. In der Antike war sie einigen Gruppen und Kasten bekannt. Aber sie war unvollständig: die Alten haben zu viel Metaphysik getrieben, ihre Lehre war zu abstrakt.«
»Warum sind Sie nach Europa gekommen?«
Gurdjieff: »Weil ich dem mystischen östlichen Geist den wissenschaftlichen Geist des Westens hinzufügen möchte. Der östliche Geist ist auf dem richtigen Wege, aber nur in seiner Richtung und mit seinen Grundideen. Der westliche Geist ist dagegen in seinen Methoden und Techniken auf dem richtigen Weg. Ich möchte eine Art von Weisheit schaffen, die den Geist des Ostens mit der Technik des Westens verbindet.«
»Gibt es schon Weise dieser Art?«
Gurdjieff: »Ja, ich kenne einige europäische Gelehrte, die dieses Ziel erreicht haben.«
»Lehren Sie, abgesehen von den Methoden, eine positive Lehre?«
Gurdjieff: »Ja. Nur wenige Menschen haben eine Seele. Bei der Geburt hat niemand eine. Man muß sich eine Seele erwerben. Wem das nicht gelingt, der stirbt: Die Atome zerstreuen sich, es bleibt nichts mehr übrig. Bei manchen bildet sich eine Teilseele, und sie sind deshalb in einer Art Wiederverkörperung begriffen, die ihnen ein Aufwärtssteigen ermöglicht. Schließlich gibt es auch eine kleine Zahl von Menschen, die es zu einer unsterblichen Seele gebracht haben. Aber das sind nur wenige, kaum hie und da jemand. Die meisten, die etwas erreicht haben, besitzen vorerst nur Teilseelen.«
»Glauben Sie an einen freien Willen?«
Gurdjieff : »Jeder tut, was er will. Daran kann man niemand hindern. Aber die Menschen wissen nicht, was sie wollen.«
Gurdjieff ist außerordentlich höflich. Er macht während des ganzen Gesprächs niemals den Eindruck eines Scharlatans. Er scheint darauf bedacht, sich so knapp wie möglich auszudrücken, und geht keiner Frage aus dem Wege. Sein ungehobeltes Wesen hat sich offensichtlich in Überlegenheit verwandelt.
Ich frage ihn, ob er noch mit jenen Freunden in Beziehung stünde, die die Lehre wieder aufgerichtet haben. Er gibt zu, zwei oder drei von ihnen wiedergesehen zu haben.
»Was tun sie jetzt?«
Gurdjieff : »Sie haben verschiedene, normale Berufe.«
»Lehren sie?«
Gurdjieff: »Nein, ich bin der einzige, der lehrt. Das ist mein Beruf.«
Dem fügen die Schüler noch hinzu, daß er sich selbst als einen Vermittler der Sonnenenergie bezeichne und daß sie das nicht verstünden.
Gibt es einen Gott? Ja, und Gurdjieff steht zu ihm in einem ähnlichen Verhältnis wie ein ziemlich unabhängiger, halsstarriger und sensibler Minister zu seinem König.
Die Frauen, heißt es, haben wenig Aussicht, je eine Seele zu bekommen, es sei denn durch die Verbindung und geschlechtliche Vereinigung mit einem Mann.
Quelle: Louis Pauwels - Gurdjew der Magier
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